"Guten Tag", sagte die wohl vor rund 20 Jahren ergraute alte Dame in der weißen Woll-Strickjacke hinter dem Tresen des Plattenladens, dessen Sortiment ganz grob gesagt aus der phantastisch harmonierenden Mischung aus Heavy Metal und Techno besteht. Aber die Geschichte beginnt eigentlich woanders, nämlich bei meinen "Normalvorstellungen" eines Plattenladenbesuchs.
Ich muss gestehen, ich bestelle normalerweise alle meine Platten online. Das hat den Vorteil, dass ich mich nicht lange durch irgendwelche Plattenhaufen stöbern muss, sondern immer alles recht schnell finde und bestellen kann. Sogar ein wenig Preisvergleich erlaubt mir diese Vorgehensweise, zwischen den einschlägig bekannten Internetshops (daher übrigens auch die Erkenntnis, dass Vandit Platten meistens die günstigsten sind).
Trotzdem halte ich mich auch äußerst gerne in "echten" Plattenläden auf. Irgendwie hat man da immer den Eindruck, man sei direkt an der Basis - hier ensteht die Musik, hier kennen die Verkäufer alle ihre Artists und haben Freunde bei jedem Label - eine wirklich schöne Vorstellung, während aus den hinteren Türen Sounds aus dem hauseigenen Studio ertönen. Wenn ich also in einen Plattenladen gehe, dann hab ich nicht vor ihn binnen der nächsten 10 Minuten wieder zu verlassen, eigentlich will ich während der ersten 5 Minuten erst einmal ausschließlich damit beschäftigt sein, allen Hallo zu sagen, die letzten News auszutauschen, meinen Verkäufer fragen, wie es denn bei seinen eigenen Studioaufnahmen so läuft und ganz nebenbei das Getränk auswählen, was mich während dem bald folgenden Durchhören der neuen Platten begleiten soll. Ich will ganz entspannt durch die Regale stöbern, mir in Ruhe die Cover ansehen, die besonders interessanten Platten auswählen und mich gelassen zu den Vorhör-Plätzen bewegen und dann die nächste Stunde darauf verwenden, die 15 ausgewählten Platten mitsamt ihren Remixen aufmerksam durchzuhören. Danach engere Auswahl, kaufentschluss, Schwätzchen mit Verkäufer und Verlassen des Ladens. Gesamtdauer eines solchen Besuchs 2 Stunden? Na und. Hab es gerne getan und werde es auch wieder tun.
Soweit die Idealvorstellung. Nun zurück zur Realität. Während meiner Zivildienstzeit hat es mich also nach Wuppertal verschlagen. Hier gibt es immerhin 3 Plattenläden in der Innenstadt, nicht übel möchte man meinen. Laden 1 hat Jazz, R'n'B und Latin/Salsa Kram. Laden 2 ist eine phantastische kleine Geschichte für sich, die es wert ist auf jeden Fall noch berichtet zu werden und an Laden 3 bin ich heute mal wieder zufällig vorbeigelaufen. Normalerweise meide ich diesen Laden, da das Sortiment wie bereits erwähnt aus Techno und Heavymetal besteht und die im Schaufenster ausgelegten Platten schon rund 3-4 Jahre alt sein müssen. Auch hab ich hier noch nie etwas wirklich Benelux/Uk-Tranciges gesehen, das höchste der Gefühle sind Platten von Alter Ego Recordings. Trotzdem, dachte ich, könnte ich dem Laden ja nochmal eine Chance geben, schließlich hab ich Tiestos ISOS 4 Sampler noch bei keinem OnlineShop bekommen können. Vielleicht können DIE hier mir ja helfen... Ich erwarte wie üblich den einäugigen und den großen schlanken Verkäufer anzutreffen, der vorgibt auch DJ zu sein. Stattdessen finde ich nur dieses bereits erwähnte Großmütterchen zwischen Bergen von Tech-House, Hardcore und irgendwelche mittelalter-Sound-Metal Platten vor. Ob die beiden Verkäufer mal wieder verschlafen und Oma vorgeschickt haben? Die schläft ja sowieso immer nur bis morgens um 7, da kann sie sich ja auch mal nützlich machen.. oder nicht? Naja, ich weis natürlich nicht, ob es wirklich so ist. "Guten Tag", erwidere ich, woraufhin sie ein "Kann ich weiterhelfen?" folgen lässt. Da muss ich innerlich doch sehr grinsen, denn die Vorstellung das mir diese alte Dame beim Kauf von elektronischer Musik weiterhelfen kann ist einfach nur grotesk. Bei der Auswahl von orientalischen Heilungs-Teesorten vielleicht schon eher. "Ich suche den Tiesto In Search Of Sunrise Vinyl Sampler". Ein kurzes Nachdenken, ein Blick nach links, einer nach rechts... "Den haben wir gerade nicht da, aber ich kann versuchen ihn zu bestellen, wie ist ihre Telefonnummer, wenn ich fragen darf?".
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder sie wusste wirklich perfekt bescheid über das Sortiment des Ladens, was unglaublichen Respekt verdienen würde, ich aber einfach nicht glauben kann.
Oder sie hatte, wie ich vermute, keine Ahnung und hat es einfach perfekt überspielt... ganz so, als sie es das normalste auf der Welt, dass man jemanden wie sie als Verkäuferin in so einem Laden antrtifft.
Eins jedoch bleibt gewiss: Wie gerne hätte ich doch so einen Laden in der Art von 4Djsonly in meiner unmittelbaren Umgebung... Man kommt rein, Robert Nickson hört gerade die neusten Scheiben durch, das erste was einem der Verkäufer (der auch gleichzeitig Berater bei den Demo-Tapes ist) reicht, ist ein schöner, warmer Kaffee und in dieser heimeligen Atmosphäre kann man beginnen sich durch das schwarze Gold zu arbeiten.