Die endlose Wiederholung des Dramas der Kommerzialisierung

  • Wohlwissend, dass hier nicht mehr soviel los ist wie in den Goldenen Zeiten und kaum mehr ausschweifende Diskussionen geführt werden, aber in Ermangelung des Wissens eines besser geeigneten Ortes, möchte ich hier kurz meinen biografisch gefärbten Problemaufriss wiedergeben:

    2001 bin ich zur Dance- bzw. kommerziellen Trance-Musik über Charts und VIVA gekommen und dann beginnend mit 2003, richtig ab 2004, parallel zu diesem Forum, das für mich eine wichtige Rolle eingenommen hat, zum "richtigen" Trance, zum damals so genannten Dutch- und UK-Trance in schroffer Abgrenzung zum kommerzielleren German Trance und zum sich abzeichnenden Handsup. Heute schwer zu glauben, dass (kommerzieller) Trance mal bis in die Charts hinauf vertreten war. Das hat sich im Mainstream aber dann eben immer stärker kommerzialisiert und so war meine Bewegung ziemlich zeitgleich mit der Entstehung dieses Forums auch im Kontext dieser Entwicklung zu sehen. Das waren damals gerade richtig goldene Jahre, in denen viele herausragende Tracks und Klassiker produziert wurden.

    Nun, aber es zeichnete sich durch die Popularisierung - Stcihwort Tiesto-Auftritt 2004 bei den olympischen Spielen -, so ab 2007 oder 2008, im "richtigen" Trance ebenso eine Kommerzialisierungsbewegung im Sound ab. Freilich kann man nicht sagen, dass Trance jemals "unkommerziell" oder Underground war - nicht ohne Grund wurde diese Richtung von Seiten der Technoszene oft geschmäht. Zuerst hielt immer mehr Popmusik Einzug, ab 2010 (?) herum kam dann immer mehr die sogenannte EDM. Ich weiß es nicht genau, da ich mich ab 2007 vom Trance großteils abwandte und eine muasikalische Phase mit Rock, Alternative und Metal durchmachte.

    Ich war aber 2012 einmal auf einer hiesigen Trance-Party und hielt den Sound nicht aus, musste tatsächlich flüchten auf den anderen Floor mit ganz anderer Musik (und später in Wien noch einmal, wo es auch nicht besser war). Auf der ASOT-Compilation, die noch eines meiner wenigen Verbindungsglieder zu der Musik blieb, hielt auch 2012 dieser EDM-Sound Einzug und ich konnte nicht anders als mich angewidert abzuwenden. Ich find diesen Sound heute noch genauso schrecklich wie damals.

    Dann entdeckte ich um 2015 herum, dass - nach der Katharsis vom Minimalgeklacker der zweiten Hälfte der 2000er-Jahre, sich eine spannende neue Richtung abzeichnete, die dann als "Melodic House & Techno" bezeichnet wurde. Ob da jetzt der Monopolist Beatport dafür verantwortlich zeichnet, wissen andere sicher besser - ebenso wie den "Neotrance" der 2000er Jahre fand und find ich auch diese Musikbezeichnung nicht besonders prall und empfinde sie mehr als Hilfskonstruktion. Da gabs einfach unglaublich geilen Sound; deutsche Player wie Einmusik und Solee vermittelten mir euphorische Gefühle, wie ich sie zuletzt 10 Jahre davor beim Trance hatte. Auch im etwas schnelleren, aber doch noch immer eher moderaten Techno gabs damals zunehmend Trance-Anleihen.

    Soweit, so Geschichte. Relativ bald nach Corona, ich schätze ab 2021 herum, begann der Sound sich wieder drastisch zu ändern. Und, Ironie der Geschichte, nun wurde der Melodic House & Techno EDMifiziert. Die heutigen Releases sind leicht überspitzt formuliert eine Mischung aus EDM-Zeugs einerseits und belang- und kreativlosem Schrott andererseits. Ich stehe wieder vor der Situation, dass ich derzeit nicht so richtig weiß, wohin ich mich musikalisch bewegen soll und so hör ich halt den zunehmend belanglosen Brei weiter und immer wieder irgendwelche Sachen aus dem aktuellen (Uplifting-)Trance und Klassiker von früher zur Abwechslung. Und natürlich einige Sachen aus dem melodischeren Progressive House, wo die Qualität noch am ehesten erhalten zu bleiben scheint. (Vielleicht sollte ich noch hinzufügen, dass ich hauptsächlich Home-Hörer bin und nie allzu viel auf Events war, wobei gerade in jener Hochzeit vor Corona doch auf einigen Technopartys, die mir ganz gut gefallen haben. Das ist leider vorbei.)

    Ich weiß nicht, ob es hier noch Leute gibt, die mit meinen Wahrnehmungen etwas anzufangen wissen. Freilich würden mich gerade die Ansichten ehemaliger Forumscracks wie Andru oder hammer dazu interessieren, auf die ich jedoch vergeblich warten würde, weshalb ich das mal ganz offen und ohne große Erwartungen der Resonanz in die Runde stelle... :D

    PS: Danke für die Aufmerksamkeit soviel Text zu lesen :happy:

  • Musik ist im ständigen Wandel, so wie das Leben ^^ Grandioser Einstig meinerseits :D


    Teile deiner Ausführung sind auch mein Werdegang, gerade die Anfangsjahre. Der Unterschied bei mir ist das ich eher in die sogenannte "Future House" Ecke (Hexagon etc.) abgedriftet bin. Trance ging für mich nie richtig verloren, nur die Produktionen welche einen richtig mit reißen sind leider seltener geworden aber das hat auch mit dem Lebensweg viel zu tun. Es fehlt schlichtweg die Zeit sich durch die Menge an Musik zu hören. Hier und da findet man aber noch persönliche Perlen (müsste mal wieder was im "Tracks Bereich" posten ^^) :)


    Die Kommerzialisierung und Einheitsbrei Produktionen nehmen, wie du schon aus führst, immer mehr zu. Gerade mit KI ist es ein leichtes Musik zu produzieren.

    Da das Hörverhalten von uns beiden sich derzeit im Privaten Bereich abspielt würde mich eine Einschätzung von Leuten interessieren die in den letzten Monaten Veranstaltungen besucht haben. Klar, ich könnte mir die Livemitschnitte diverser Artist rein ziehen aber wer hat den heute noch so viel Zeit ^^


    Gruß und Kuss Aiiwa

  • Tachchen. Hätte mehr (und anderes) schreiben und sagen können, aber warum? :p

    Diese Diskussion ist so alt wie die Welt selber. Jede Musikrichtung hat ihren Peak. Seien wir dankbar, dass wir den "guten alten Trance" überhaupt hatten. Trance ist kein besonders variables Genre, noch dazu ist es ein weitgehend gesichtsloses oder stimmloses Genre. Nimm irgendeinen Popper oder Hip Hopper oder Rocker her. Der singt, der sieht gut oder cool aus, der ist passende gekleidet. Irgendwann beginnt die Kommerzialisierung. Ich bezeiche es auch als "Popifikation". Das machen alle Bands, damit sie die Chance auf eine dauerhafte Karriere erhalten können. Die meisten Acts sind ohnehin nicht lange an der Oberfläche dabei.

    Ändern kann man als Einzelperson ohne nicht, welcher Sound hype ist. Mal gefällt es, mal nicht. Hört einfach was ihr wollt. Ob alt oder neu. Über den Mainstream/Kommerz haben die Leute schon immer geschimpft, das war und ist so, seit es Musik gibt. Damals wurde über Elvis, die Beatles und Stones geschimpft. „Elvis Presley ist eine Gefahr für die Jugend. Seine Musik riecht nach Schweiß, seine Bewegungen sind lasziv, sein Gesicht ein Abbild der Verdorbenheit.“ „Die Beatles sind unmusikalisch, laut, und sie machen Krach statt Musik.“ „Die Stones sind schmutzig, ungehobelt und eine Gefahr für die Jugend.“ Und so ging das immer und immer weiter. Gerade im Netz wird sich besonders über den Mainstream und deren Musik beschwert, aber wer Erfolg hat, gewinnt. Egal ob's mir gefällt oder nicht. Und am Ende will fast jeder von seiner Musik leben können und es geht ums Geld.

    Deshalb ändert sich der Sound auch immer, weil niemand bockt hat, also weder die Artists noch die Fans, 10 Jahre lang Uplifting Trance System F oder Progressive Trance usw. zu hören. Meiner von mir persönlich sehr hoch geschätzen Meinung nach gibt es in jedem Genre, in jedem Bereich einfach den Peak, das sind wenige Tracks, Artists, Alben, die wirklich der Gipfel sind und der Rest ist von gut bis crap. Ich hab mir gerade eine tolle BritPop Doku angeschaut. Nachdem das Genre in den Mitt-90ern von den Medien bis ins Unendliche gehypt wurde, kam der Fall nicht überraschend. Plötzlich wurden Tonnen an Bands auf den Markt geworfen, doch die waren halt nicht gut und so nahm das Ende seinen Lauf. Man kann halt nur so und so viele Variationen des gleichen bringen. Man erwartet dann von den Artists, dass sie auch beim 3.-4. Album noch so motiviert und innovativ sind wie beim ersten. Auch wenn die Formelhaftigkeit eines Genres einfach seine Grenzen hat. Trance ist da keine Ausnahme. Ich höre mich durch die alten ASOTs und merke auch schon, dass es einige geile Sachen gibt, aber auch viel Stangenware. Schon damals, wo das Genre am Peak war. Die Banger bleiben in Erinnerung, alles was mäßig bis schlecht oder 08/15 war, geht mit der Zeit in Vergessenheit. So haben dann Leute die von heute auf damals zurückblicken eine rosarote Brille auf und behaupten, "in den 70ern war die Musik oder waren die Filme einfach viel geiler", wenn sich nur auf die Klassiker bezogen wird.

    Früher hab ich mich über das Enden des Alten und die modernden Variationen des Trances und Hip Hops geärgert. Mittlerweile kann man eh nahezu alles streamen oder auf youtube anhören. Dann höre ich halt alte ASOTs aus 2007 im Jahr 2005 oder Hip Hop aus 1999 oder ganz was anderes. Ich habe über fast drei Dekaden eine riesige Musiksammlung aufgebaut. Eigentlich kann ich über alles was so passiert lachen, weil ich ohne jemals wieder diggen zu gehen immer geiles Zeug auf den Ohren haben kann. :lol:

    Natürlich kann ich alle Boomer äh also gefühlten Boomer aka Millennials (:happy:) verstehen, die sich die "gute alte Zeit" zurück wünschen. Da wo es schön war. Nostalgie, Retro, Verklärung, Sentimalität, Simplizität, Romantisierung . Dieser Sektor boomt seit einigen Jahren im Netz. Auch ich fühle mich seit vielleicht 10 Jahren oder vielleicht schon seit 15 musikalisch (also auch filmisch und serisch und internettisch und auch technologisch) nicht mehr up-to-date. Ich habe da den Anschluss verloren bzw. nie wirklich reingefunden (finden wollen) (so geht es besonders Leuten die jetzt um die 60 sind), während ich so bis 2005 voll im Chartsgame, Medienmarkt drin war und bis 2013 oder so voll im Trance Game drin war, also wusste, was gerade läuft und gefeiert wird.

  • Kann da Aiiwa eigentlich nur zustimmen. So aktiv verfolge ich die Szene gar nicht mehr, dass ich wirklich was dazu sagen könnte. Klar, es gibt Namen wie W&W, Vini Vivi oder auch ein Armin van Buuren, die gefühlt jedem Hypetrain aufspringen, aber denen "gehe" ich aus dem Weg. Möglicherweise stecke ich auch in meiner Bubble mit für mich bewährten Artists fest. Aber so lange ich mich gut unterhalten fühle, ist das okay für mich :D

  • Moderner Trance ist total genial. Einerseits schade dass die Szene so klein ist, aber andererseits doch auch genau das was man will. Trance ist eben heutzutage vergleichsweise wenig "kommerzialisiert" da so klein und nischig.

    Luminosity, Transmission, Dreamstate sind doch wirklich 1A.

  • Zwar gibts wohl berechtigte Kritik an Vergangenheitsverklärung à la "früher war alles besser", aber dass das goldene Zeitalter von Trance irgendwann zw. Ende der Neunziger- und Mitte der Nullerjahre angesiedelt war, wo auch der Großteil der Überhits und Klassiker entstanden ist, dürfte sich mutmaßlich durch Intersubjektivierung erhärten lassen. Der spätere Ausverkauf und kreative Niedergang lässt sich wohl nicht nur, aber auch aus der Kapitallogik (Konzentration und Zentralisation des Kapitals etwa bei Armada Music) ableiten.

    Hab glaub ich auch den Anschluss irgendwie verloren, sodass ich die jüngeren Phänomene der EDM nicht mehr so ganz durchblicke.

    Meine vorläufige Conclusio - es hilft wohl nix, auf Nischen konzentrieren (bei Trance sind das für mich z.B. Thrillseekers, Activa/Borderline, Solarstone/Pure Trance) und "überwintern", irgendwann werden sich möglicherweise wieder neue Gefilde eröffnen. Gibt ja oft so Wellenbewegungen. Vielleicht auch mal zur Abwechslung den Musikstil wechseln. Lustigerweise hatte ich ja am Ende meiner Rock/Metal-Phase einen ganz ähnlichen Eindruck von Stagnation und kreativem Niedergang...