Das Vogelgrippenspiel
von Paul Schreyer email: paul_schreyer@freenet.de
„Der Infektionsweg der Vogelgrippe nach Deutschland gibt Rätsel auf“, so dass Handelsblatt in seiner Ausgabe vom 15. Februar 2006. Unklar sei, wie sich die auf Rügen gefundenen Schwäne angesteckt haben. „´Dieses aktuelle Phänomen ist nicht zu erklären, denn es hat offensichtlich nichts mit dem Vogelzug zu tun´, sagte der Leiter des Wilhelmshavener Instituts für Vogelforschung, Franz Bairlein. Bei den auf Rügen verendeten Vögeln handelt es sich nach Angaben des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit um Höckerschwäne. ´Diese Art ist ein Standortvogel, der immer hier ist´, sagte die Sprecherin des Instituts auf der Insel Riems, Elke Reinking. ´Uns beschäftigt jetzt die Frage, wo kommt das Virus her?´ Auch Vogelforscher Bairlein hält es für möglich, dass die Tiere verhungert oder Opfer des strengen Winters wurden und gleichzeitig auch Grippeviren in sich trugen.“
Sind die Schwäne also eventuell gar nicht am Virus gestorben, sondern einfach verhungert? Tragen Vögel so den Erreger womöglich schon viele Jahre mit sich herum, einfach deshalb unbemerkt, weil niemand bisher die Idee hatte, sie zu testen?
Der Arzt und Gesundheitsexperte der SPD-Bundestagsfraktion Wolfgang Wodarg erzählt jedenfalls: „Als ich für die Hygiene von Badestränden verantwortlich war, gab es unter Kollegen den Schnack: Wir können jederzeit jeden Badestrand im Sommer in der Hochsaison dicht machen, weil wir genau wissen, wo wir messen müssen, um Salmonellen zu finden, nämlich da, wo die Möwen gesessen haben. - Wenn Sie da Wasserproben entnehmen, können Sie den Strand anschließend dicht machen, weil Sie Salmonellen nachgewiesen haben. Bis das Gegenteil bewiesen und der Messfehler sowie die technischen Feinheiten der Messung diskutiert worden sind, ist der Sommer vorbei. Dann sind die Tourismusaktionen gestorben.“
Aber ist die Vogelgrippe nicht gefährlicher? Die vielen deutschen Politiker, die jetzt dieser Meinung sind, haben jedenfalls einen wichtigen Vordenker: George W. Bush.
Es war der 1. November 2005, als sich der krisengeschüttelte Präsident zum Nationalen Gesundheitsinstitut begab, um eine hochrangige Pressekonferenz abzuhalten. Kein kleiner Fototermin. Präsentiert wurde vielmehr ein gut 400 Seiten starker Plan, mit dessen Hilfe das gesamte Land vor der drohenden Vogelgrippe geschützt werden sollte. Anwesend waren neben ranghohen Ministern der Regierung auch der extra aus Genf eingeflogene Direktor der Weltgesundheitsorganisation WHO.
Bush, ein Freund klarer Worte, kam schnell zur Sache: „Ich bin hier, um unsere Strategie zu diskutieren, die das amerikanische Volk vor einem möglichen Ausbruch bewahren und schützen soll.“ Doch nicht nur das, auch die Menschen „rund um den Globus“ müssten geschützt werden. Leider könnten die Wissenschaftler zwar derzeit nicht voraussagen, wann und wo die Seuche zuschlagen werde, aber eines sei klar: „Irgendwann stehen wir einer neuen Pandemie gegenüber.“ Weiter ging es mit rhetorischen Riesenschritten: „Da die Pandemie jederzeit zuschlagen könnte, dürfen wir keine Zeit verlieren. Ich erbitte vom Kongress eine Notfall-Unterstützung in Höhe von insgesamt 7,1 Milliarden Dollar.“
7 Milliarden. Nicht schlecht für eine Krankheit, die es noch gar nicht gab. Es machte auf jeden Fall Eindruck. Auch in Europa. Ein großer Teil des neuen Geldes sollte nun für Impstoffe ausgegeben werden. Mehrere Milliarden waren allein für das Medikament „Tamiflu“ im Gespräch. Verteidigungsminister Rumsfeld hatte schon mal mit einer kleineren Tranche angefangen und bereits im Frühjahr 2005 für 58 Millionen Dollar Tamiflu für seine Soldaten geordert. Sicher ist sicher.
In jedem Fall eine frohe Kunde für den Pharma-Riesen Roche, der Tamiflu exklusiv herstellte. Es ging um richtig viel Geld. Roches Tamiflu-Umsätze hatten sich bereits innerhalb eines Jahres auf 450 Millionen Dollar verfünffacht. Und das war nur der Anfang. Denn jetzt hatte Bush mit der WHO im Rücken seinen 7-Milliarden-Plan verkündet.
Doch der Pharmakonzern hatte noch einen Junior-Partner. Der eigentliche Entwickler des Medikaments, in dessen Lizenz Roche produzierte, war ein weniger bekanntes kalifornisches Unternehmen namens Gilead Sciences. Und die verdienten kräftig mit. Der Jahresbericht vom Februar 2006 vermerkte stolz, dass die Tamiflu-Lizenzgebühren in nur einem Jahr von 45 auf über 160 Millionen Dollar angesprungen waren.
Das freute auch Donald Rumsfeld, der nicht nur mehrere Millionen seines umfangreichen Vermögens in Gilead-Aktien investiert hatte, sondern selbst jahrelang Chef ebendiesen Unternehmens gewesen war. Interessenskonflikt? Mauschelei? Gilead war politisch einfach „extrem gut vernetzt“, wie sich ein Finanzanalyst ausdrückte. Denn im Vorstand saßen noch andere Schwergewichter. Zum Beispiel George Shultz, der erst unter Präsident Nixon das Finanzressort leitete, bevor Reagan ihn zum Außenminister gemacht hatte.
George Shultz, der in den 50ern sogar schon Eisenhower beraten hatte, war nun, mit über 80 Jahren und reichlich Erfahrung das, was man einen Strippenzieher nennt. Er hatte in den 70ern den Bauriesen Bechtel geleitet und saß immer noch beratend im Vorstand, als Bechtel nach dem Irak-Krieg den größten Brocken der Milliarden für den Wiederaufbau des zerbombten Landes zugespielt bekam. Beim Tamiflu-Hersteller Gilead war er an der Seite Rumsfelds eingestiegen. Man kannte sich. Mitte der 80er hatte der damalige Außenminister Shultz den „Sondergesandten“ Rumsfeld in den Irak geschickt, um mit Saddam im Gespräch zu bleiben. Der Gesandte war schon damals erfolgreich gewesen.
Mehr als eine Dekade später hatte sich Shultz als Professor der Stanford-Universität im sonnigen Kalifornien zur Ruhe gesetzt. Zumindest fast. 1999, als die Republikanische Partei einen neuen Präsidentschaftskandidaten suchte, fädelte Altmeister Shultz nämlich noch ein Bewerbungsgespräch für den vielversprechenden texanischen Gouverneur George W. Bush ein. Auf CNN plauderte er später davon:
„Bush hatte damals in San Francisco eine Rede gehalten und wir erfuhren, dass er am nächsten Tag bei uns in der Gegend war. Also lud ich ihn in mein Haus unten auf dem Stanford Campus ein. Wir unterhielten uns ein paar Stunden. Condi kam, Mike Boskin, John Taylor, die üblichen Verdächtigen. Leute die in Regierungsangelegenheiten und vielen Feldern Erfahrung haben. Und da saßen wir für viereinhalb Stunden und sprachen über Politik, ein Problem nach dem anderen. Er hatte viele Ideen. Und wenn er über etwas nicht bescheid wußte, ließ er jemand anderen darüber sprechen.“ Mike Boskin, ein weiterer Teilnehmer dieses „Bewerbungsgesprächs“ erinnerte sich so: „Diese Leute waren sehr beeindruckt von ihm, wie schnell er die Dinge begriff. Seine Instinkte waren sehr gut, sehr marktorientiert. Das erzeugte einen sehr günstigen Eindruck. Wir schauten uns alle an und sagten, ´Hey, der Typ ist gut.´“
Und nun, 2005, war der Typ mit der raschen Auffassungsgabe zum zweiten Mal Präsident geworden und beschützte sein Volk vor der Vogelgrippe. Auch diesmal waren seine Instinkte gut und er entschied „sehr marktorientiert“.
Abschließend die Rede, die der Eingangs zitierte Wolfgang Wodarg am 18. Januar 2006 im Deutschen Bundestag hielt:
„Die Vogelgrippe ist gar keine Erkrankung des Menschen; wir sprechen hier von einem Phantom. Es handelt sich um die Theorie, dass eine Erkrankung, die bei Vögeln vorkommt, für den Menschen gefährlich werden kann. Ob Tiererkrankungen für Menschen gefährlich werden, hängt zum einen von der Anzahl der Erreger ab, also der Intensität des Kontaktes, und zum anderen von der Abwehrlage derjenigen, die den Kontakt mit diesen Erregern normalerweise gut aushalten können. Wenn beides in einem Missverhältnis steht, kann man krank werden. Aber das ist in der Medizin schon seit Tausenden von Jahren bekannt. Wenn man eng mit Tieren zusammenlebt und das Immunsystem nicht in Ordnung ist, ist das gefährlich. Dann können auch ganz andere Erkrankungen, die ich gar nicht alle aufzählen kann, auf den Menschen zukommen.
Bei den Ländern, in denen man bisher keinen Fall von Vogelgrippe - ich benutze diesen Ausdruck jetzt einmal - entdeckt hat, handelt es sich häufig um die Länder, in denen man für die entsprechenden Tests kein Geld hat, weil dort ganz andere Probleme im Vordergrund stehen.
Ich habe mich gefragt, wie es eigentlich kommt, dass wir so viel über dieses Thema reden. Wer hat ein Interesse daran, dieses Thema hochzuspielen? Für die Medien ist dieses Thema willkommen. Sie würden aber auch ein anderes Thema aufgreifen, wenn die Leute dadurch Angst bekommen. Das machen sie gerne. Es gibt aber auch noch andere Profiteure, nämlich diejenigen, die Tamiflu verkaufen und die Lizenzen vergeben. Ich empfehle Ihnen sehr, sich zu informieren, wem die Anteile gehören, wer Druck ausgeübt hat, welche Prozesse schon gelaufen sind und welche Strategien angewendet werden, um möglichst viel von dem Zeug zu verkaufen.
Diese Fragen können wir nicht einfach abtun; denn sie sind die Motoren der Angst. Sie dienen dazu, den Menschen unnötig Angst zu machen.“
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: „Herr Kollege Wodarg, kommen Sie bitte zum Schluss.“
Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): „Ja.“
Ursula Heinen (CDU/CSU): „Schade! Das ist eigentlich ganz interessant!“
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind derzeit rund 170 Menschen - ausschließlich in Asien - an der Vogelgrippe erkrankt. Mehr als 90 davon sind gestorben.
Werbung für Tamiflu als normales Grippemittel im Internet (https://www.tranceforum.info/www.tamiflu.de):
„Wussten Sie schon, dass in der Grippe-Saison 2004/2005 alleine in Deutschland über 20.000 Todesopfer zu beklagen waren?“