"Das ist ein weites Feld."
Wovon redet ihr eigentlich gerade? Schuldenschnitt oder Austritt aus der Eurozone? Oder beides? Meines Erachtens lässt sich das eine ohne das andere nicht mehr denken. Die Begründung folgt später.
Zunächst einmal sollte man allerdings differenzieren zwischen den Folgen für Griechenland und Folgen für den Rest.
Griechenland
Angenommen die Griechen treten aus der Währungsunion aus und führen eine wie auch immer geartete nationale Währung wieder ein. Diese würde in der Folge massiv abwerten (gegenüber dem Euro und vermutlich auch gegenüber vielen anderen Währungen, insb. den Leitwährungen), um den Produktivitätsnachteilen Rechnung zu tragen. Einheimische Produkte werden im Ausland somit günstiger, was zu einem erhöhten Export von Waren führen kann. Ausländische Produkte werden im Gegenzug teurer. Importe verteuern sich also.
Soweit die ökonomische Standardtheorie. Funktioniert relativ gut. Einschränkungen sind eben die Struktur der griechischen Wirtschaft. Was können die produzieren, was im Ausland gefragt und womit sich halbwegs Geld machen lässt. Ökonomisch: Wo haben die Griechen komparative Kostenvorteile? An diesem Punkt wird es schwierig. Der Tourismus ist ein enorm wichtiger Bestandteil der Griechischen Wirtschaft, ansonsten geben meine Kenntnisse nicht sehr viel her, wenn man mal von irgendwelchen griechischen Spezialitäten in der Nahrungsmittelbranche absieht (und ob soviele Deutsche etc. noch nach Griechenland reisen wollen nach der ganzen populistischen Meinungsmache in beiden Ländern, wage ich zu bezweifeln). Sie haben zwar relativ viele, auch gut ausgebildete Arbeitskräfte, also würden sie Investitionen in arbeitsintensive Branchen lohnen. Da stehen sie dann aber in Konkurrenz zu Asien oder irgendwelchen osteuropäischen Ländern, die noch nicht so weit entwickelt sind (Rumänien, Ungarn, Bulgarien, Ukraine, Türkei, etc.). Man müsste also Branchen finden, die einiges an Wissen voraussetzen und gleichzeitig noch viele Arbeitskräften unterbringen können. Was das sein könnte? Da bin ich überfragt, da ich kein Experte für Wirtschaftstrukturen und Industrieökonomik bin.
Ein Punkt wurde aber bis hierhin noch gar nicht angesprochen: Griechenlands Schulden sind gewöhnlich in Euro oder Dollar aufgenommen, d.h. die bleiben so bestehen. Nach der oben verwendeten Logik, verteuern die sich gemessen in der neuen inländischen Währung dann sogar noch. Die Griechen würden noch stärker unter den Schulden leiden.
Folglich müsste ein Austritt mit einem radikalen Schuldenschnitt einhergehen. Sei es verhandelt, wie der aktuelle und zur Not eben einseitig, wie es Argentinen Anfang der 2000er Jahre durch Staatsbankrott machte. Sie entledigten sich so mit einem Schlag sämtlicher Schulden (Zum Nachlesen: Wiki). Aus diesem Grund ist die ganze Geschichte ohne einen Schuldenschnitt nicht zu denken.
Nachfolgende Wirkungen lassen sich dann anhand des Argentinienbeispiels studieren (Glaubwürdigkeitsproblematik usw.)
EU-Staaten/Rest der Welt
Zunächst einmal könnten sich die Gläubiger alle ihre Forderungen in die Haare schmieren. Manch einer mag nun sagen: Geschieht diesen gierigen Banken, Hedgefonds etc. recht. Leider greift diese Betrachtung zu kurz. Erstens haben die EZB und die ihr unterstehenden Nationalen Zentralbanken massiv griechische Staatsanleihen in ihren Depots. Für den Ausfall müssten die anderen Mitgliedsstaaten aufkommen. Wie die Verteilung dort ist, dürfte ungefähr bekannt sein. Zweitens haben vor allem deutsche und französische Banken griechische Staatsanleihen in ihren Depots, die sie dann abschreiben müssten. Somit dürfte die ein oder andere Bankenrettung noch dazu kommen. Kennen wir schon aus der ersten Phase der Finanzkrise. Würde man tendenziell auch noch irgendwie hinbekommen, zwar nicht ohne Schaden, aber irgendwie würde das wohl laufen.
Das ist nun aber alles Kindergarten gegen die Gefahr, die von einem Dominoeffekt ausgeht. Schließlich steckt ja nicht nur Griechenland massiv in der Klemme...nein, das triffts nicht, "in der Scheiße" muss an dieser Stelle erlaubt sein, sondern auch noch andere Staaten der Währungsunion (PIIGS). Wie wir unseren lieben internationalen Kapitalmärkte nun kennen, würden die das in ihrer vollkommenen Rationalität (an dieser Stelle muss man einfach polemisch werden, sonst verfällt man in Heulkrämpfe), als Signal werten, dass die beschriebenen anderen Staaten auch so handeln könnten. Folglich ziehen die ihr Kapital auch aus diesen Ländern zurück. Und dann haben wir Griechenland in Potenz, vor allem da die anderen Volkswirtschaften, gemessen am BIP, nochmals größer sind.
Ahja,auch ganz interessant [URL=http://www.spiegel.de/wirtschaft/soz…,817004,00.html] Klick[/URL].
Ich habe mich echt gefragt, ob ich irgendwelchen Aspekte radikal falsch darstelle, habe gezielt nach anderen Positionen gesucht. Leider finden sich in diesen so fundamentale Fehler oder sie beschränken sich auf verhältnismäßig irrelevante Aspekte, dass man sie nicht ernst nehmen kann. Sicherlich habe ich von irgendwelchen Details und irgendwelchen Hintergrundsystemen wie Target2 keine wirkliche Ahnung und kenne mich auch nicht im Detail darin aus, wer welche risikohaften Anleihen in seinen Depots führt und diese dann abschreiben müsste und was das wiederum für Konsequenzen für den jeweiligen Akteure und die Allgemeinheit hätte, auch maße ich mir bei diesem hochtechnischen Thema schon gar nicht die Allwissenheit an, aber eins dürfte feststehen: Egal was in den kommenden Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren gemacht wird, diese Kacke wird uns noch sehr lange Zeit beschäftigen und irgendwann ein böses Erwachen bewirken, dass wir uns aktuell nicht einmal ansatzweise ausmalen können und schon gar nicht wollen.
Meine persönliche Schlussfolgerung, die mir teilweise selbst nicht behagt, und die ich in diesem Thread schon einmal genannt habe, ist, dass eine weitere Europäische Integration unumgänglich ist. Der nächste Schritt muss neben so institutionellen Geschichten wie andere Entscheidungsregeln, eine teilweise koordinierte Wirtschafts- und Fiskalunion (mit der genauen Ausgestaltung, welche Kompetenzen auf die EU übertragen werden sollten und wie eine adäquate Beteilung der Bürger via Parlamentesrechte etc., habe ich mich noch nicht befasst), beeinhalten. Dazu kommt noch eine ziemlich unpopuläre Geschichte. Ich bezweifel, dass man die bestehenden Ungleichgewichte innerhalb der EU allein mit diesen Maßnahmen auf ein akzeptables Niveau verringern kann. Zumindest anfangs erscheint mir eine wie auch immer ausgestaltete Transferunion unausweichlich. Die Geschichte könnte ähnlich wie der Länderfinanzausgleich funktionieren, wobei man aus diesem Lernen könnte und Dinge, die dort schief gelaufen sind, versucht besser zu machen.
Ahja, falls mir wer eine zu pro europäische Einstellung vorwerfen sollte: Natürlich kann man das europäische Projekt scheitern lassen und auf die nationale Karten setzen und auch gleich noch Bayern aus Deutschland herauslösen und sich weiterhin wichtiger als wichtig nehmen und für die Könige der Welt halten, aber ich persönlich würde nicht gern in einem Europa, dass dem Europa des 19. Jahrhunderts ähnlich ist, leben.
Auch wenn ich sonst nicht unbedingt ein Freund der aktuellen Kanzlerin bin, aber sie hat recht,, wenn sie sagt "scheitert der Euro, dann scheitert Europa."
Leider zieht Merkel öffentlich - aus nachvollziehbaren Gründen, denn das würde sie die nächste Wahl kosten - daraus nicht die richtigen Schlüsse.
Melly
Jor, so ungefähr kann man die Entstehung der ersten Phase wunderbar beschreiben. Leider ist die zweite Phase, nämlich die Staatsschuldenkrise, eine ganze Ecke komplizierter.